Urteile zur groben Fahrlässigkeit – grobe Fahrlässigkeit verneint
Trotz grober Fahrlässigkeit volle Haftung/Eintrittspflicht des Versicherers
Es gehört zum klassischen Einwand des Versicherers, dass er dem Versicherungsnehmer vorwirft, grob fahrlässig gehandelt zu haben – weil der Versicherer bei leichter und mittlerer Fahrlässigkeit eintrittspflichtig ist. Für eine Vielzahl von Versicherungsbedingungen ist die Vorschrift des § 81 VVG (diese haben wir am Ende des Aufsatzes abgedruckt) bzw. ähnlich lautende Klauseln in den Versicherungsbedingungen einschlägig. Rechtsanwalt Georg Willi, Fachanwalt für Versicherungsrecht, hat in seinem Aufsatz eine kleine Anzahl von Beispielen aufgeführt.
1. Fallgruppe: Grobe Fahrlässigkeit ist an sich gegeben, – der Schaden wäre aber auch ohne dieses Handeln eingetreten (fehlende Kausalität der groben Fahrlässigkeit)
Beispiel:
Ein Auto wird aufgebrochen, das Fahrzeug kurzgeschlossen und entwendet. Im Handschuhfach war der Autoschlüssel/Kfz-Brief.
Hier würde der Versicherer nur mit dem Einwand der groben Fahrlässigkeit Erfolg haben, wenn der Tatentschluss zum Diebstahl erst durch das Auffinden des Schlüssels/Kfz-Briefs entstanden ist, vergl.:
Oberlandesgericht Köln, VersR, 1983, 847
Oberlandesgericht Hamm r+s, 1996, 296
Anders wird der Fall wohl zu beurteilen sein, wenn im Zündschloss der Schlüssel steckt, das Auto aber abgesperrt wurde, daraufhin die Tür aufgebrochen wird und das Fahrzeug entwendet wird.
Beispiel:
Grundsätzlich steht bei einem bloß gekippten Fenster immer der Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Raum. […]
Allerdings kommt es dabei auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. So kann grobe Fahrlässigkeit unter Umständen verneint werden, wenn zwar ein Fenster längere Zeit gekippt ist, aber die Rollläden heruntergelassen wurden oder sonstige besondere Umstände vorliegen, z. B. wenn das gekippte Fenster im zweiten Stock ist. Siehe hierzu:
Oberlandesgericht Hamm, VersR 1997, 1352
Oberlandesgericht Oldenburg, OLG R 9, 4, 135
Oberlandesgericht Düsseldorf, VersR 1996, 1493
Der im Auto offen auf dem Beifahrersitz liegende Laptop wird grobe Fahrlässigkeit beim Laptop-Diebstahl begründen, dagegen wohl eher nicht der im Kofferraum nicht einsehbare Laptop.
2. Fallgruppe: Augenblicksversagen
In einem milderen Licht erscheint es Gerichten wenn in Versicherungsfällen ein typisches Augenblicksversagen vorliegt.
Oberlandesgericht München, NJW-RR 92, 538
Oberlandesgericht Hamm, VersR 90, 1230 = NJW-RR 91, 1131
Es kommt daher aber immer auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.
Aber: Augenblicksversagen wird im Straßenverkehr eher verneint!
3. Fallgruppe: ein Handeln wird erst ab einem bestimmten Zeitpunkt zum grob fahrlässigen Handeln
Am besten ist es die Problematik an zwei Extrempositionen darzustellen: Besucht man für 5 Minuten den Nachbarn und hält man ein Fenster auf Kippstellung bei einer entsprechenden Lagesituation, dürfte dies im Regelfall noch nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit (für einen Einbruch) begründen. Wohl aber, wenn man viele Stunden das Fenster im EG auf Kippstellung hat, sich insbesondere niemand im Haus aufhält.
Aber: Wegen dem unter Ziffer 1 beschriebenen Kausalitätserforderlichkeit liegt grobe Fahrlässigkeit erst dann vor, wenn der Einbruch erst nach dem Zeitpunkt eingetreten ist, von dem ab an das Verhalten zu einem grob fahrlässigen Verhalten wurde, was der Versicherer zu beweisen hat. (Sehr vereinfacht ausgedrückt: Der Versicherer muss den Einwand des Versicherungsnehmers widerlegen, der Einbruch oder Diebstahl sei schon in den ersten Minuten erfolgt)
vgl. BGH VersR 80, 180 (Autodiebstahl eines Pkws der 3 Wochen auf öffentlichem Parkplatz abgestellt war)
vgl. Oberlandesgericht Hamm, VersR 2001
vgl. Oberlandesgericht Karlsruhe VersR 98, 94 ,2002 , 1550
4. Straßenverkehr
Hier gelten grundsätzlich strenge Anforderungen z. B. beim Überfahren eines Stopp-Schildes, eines Rotlichtverstoßes und ähnlichen gravierenden Verstößen. Aber es gibt auch da Fälle, wo grobe Fahrlässigkeit verneint wurde so:
Oberlandesgericht Hamm, NVers. 2 2001, 168 für den Fall eines Rotlichtverstoßes, weil der Fahrer in einer schwierigen Verkehrssituation durch einen Gelenkbus abgelenkt war.
Oberlandesgericht Nürnberg VersR 2005, 335: kurzfristige Ablenkung durch die Bedienung eines Autoradios ist nicht immer automatisch grob fahrlässig.
Kurzum: Grobe Fahrlässigkeit führt längst nicht immer zu einer verkürzten Haftungsquote. Es kommt vielmehr immer auf die konkrete Fallumstände an.
Praxistipp: Achten Sie darauf, dass von vorne herein solche Versicherungsbedingungen vereinbart werden, bei denen der Versicherer auch bei grober Fahrlässigkeit voll eintrittspflichtig ist. Diese Vertragsform wird z. B. in Kfz-Kasko-Versicherungen, Hausratsversicherungen und Wohngebäudeversicherungen und weiteren Versicherungssparten angeboten. (Ausgeschlossen sind da dann nur noch wenige Spezialfälle – im Kfz-Bereich z. B. die „Alkohol-/Drogenfahrt.“
§ 81 VVG lautet wie folgt:
(1) Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Versicherungsfall herbeiführt.
(2) Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
Für weitere Fragen steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Georg Willi, Fachanwalt für Versicherungsrecht, gerne zur Verfügung. Sie können jederzeit an einem unserer Standorte, wie Augsburg, Donauwörth oder Höchstädt einen Termin zu einem persönlichen Beratungsgespräch vereinbaren.